Mittwoch, 16. April 2014

Brainstorming II

Namaste aus dem immer heißer werdenden, sonnigen Delhi!

Die Zeit scheint wie im Flug zu vergehen - 2/3 meines Abenteuers liegen bereits hinter mit, in knappen 4 Monaten geht es wieder zurück nach Deutschland.
Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, wieder mal einen kleinen 'Brainstorming'-Eintrag zu schreiben, um euch an meinen Gedanken und Erlebnissen rund um Indien teilhaben zu lassen.

Das erste Thema, worüber ich gerne schreiben würde, ist der

Verkehr:

"Das Thema musste ja kommen", werden sicherlich einige von euch jetzt denken, und ich muss gestehen, ihr habt Recht. Ich glaub wenn es eine Sache gibt, die jeden, egal ob Inder, Delhianer oder Ausländer, an Delhi nervt, dann ist es der Verkehr. Doch warum zerrt eben dieser so unglaublich an den Nerven? "Na weil die Hupen wie blöde", würden andere wiederum nun sicherlich behaupten.. und auch da müsste ich ihnen Recht geben. Und wie das nervt! Man hat teilweise das Gefühl, es wird nur gehupt, um zu verdeutlich, dass man ein motorisierendes Gefährt besitzt, so nach dem Motto: "Hey, ich bin auch da. Hier guck? "HUUUP"". Nichtsdestotrotz habe ich mich mittlerweile sogar fast vollständig an das Hupen gewöhnt und nehme Autos somit fast nur noch akustisch wahr. Dies führte dazu, dass ich gestern von einem grasgrünen Suzuki Swift (ja, eigentlich hätte er mir auffallen sollen) beinahe überfahren wurde. Der Grund: sein Hupe schien kaputt zu sein. Denn auch nach einer abrupten Vollbremsung blieb die Hupe aus. Der Fahrer fuchtelte nur wild mit den Armen herum, was ich als Ärgernis über die nicht funktionierende Hupe interpretierte.
Das Hupen und die lauten Motoren nerven natürlich extrem im täglichen Verkehr hier in Delhi, viel schlimmer ist jedoch der Verkehr selber, sollte man mal nicht das Privileg haben, das gewünschte Ziel zu Fuß erreichen zu können. Dann kann es richtig nervig werden. Von 10 Uhr morgens bis 10 Uhr abends sind die Straßen dann Orte, denen man am besten aus dem Weg gehen sollte; der Verkehr ist unvorstellbar chaotisch. Aus einer dreispurigen Straße wird so schnell mal eine 6-7 spurige gemacht und Bürgersteige, Schleichwege und Wiesen werden zur Straßen. Daher ist es prinzipiell verständlich, dass die Hupe das einzige Mittel zur Kommunikation und Regelung des Verkehrs ist. Das Verkehrsnetz ist aufgrund des Bevölkerungswachstums und der mangelnden infrastrukturellen Verkehrsplanung einfach völlig überlastet. An manchen Kreuzungen stehen, trotz Ampeln, einige bedauernswerte Polizisten, die mit Trillerpfeife und wild fuchtelnden Armen den Ton angeben - auch wenn die Pfeife nur schwer zu hören ist bei all dem Lärm.
Normalerweise wären Polizisten an den teilweise wirklich sehr gut ausgebauten Kreuzungen überflüssig, da die Ampeln ja den Verkehr regeln würden, hier in Delhi bedeuten die Farben jedoch meist (vor allem abends) etwas anderes:
Grün bedeutet weiterfahren.
Gelb bedeutet beschleunigen und weiterfahren.
Rot bedeutet stark beschleunigen, laut hupen, weiterfahren und hoffen, dass einem keiner in die Seite brettert. Aber das ist ja eher unwahrscheinlich, man hat ja gehupt und damit signalisiert, dass man nun über die Kreuzung fährt, problematisch kann es nur werden, wenn beide Fahrer meinen, zuerst fahren zu dürfen. Da gilt ein einfaches Prinzip: Der stärkere hat Vorfahrt. Somit stehen Busse, Laster und alle sonstigen Verkehrsriesen an der Spitze der delhianischen, pardon, Verkehrskette. Achso, in Delhi ist übrigens Linksverkehr, was das ganze Chaos zu Beginn meines Dienstes perfekt machte.

Chaos hin oder her, wenn man die hiesigen Verkehrsregeln erstmal verinnerlicht hat, kommt man hier auch gut zurecht und es ist alles gar nicht so schlimm wie es auf den ersten Blick erscheint.
Außerdem hat man, sollte es einem auf den Straßen zu bunt werden, immer noch die Möglichkeit unterirdisch zu verkehren: mit der Metro (haaaaaleluja).
Das hochmoderne Metrosystem in Delhi funktioniert einwandfrei und ist stetig am Wachsen: überall werden neue Stationen und weiterführende Trassen gebaut. Die Metro selbst wurde aus Japan importiert und ist im Vergleich zu den deutschen S- und U-Bahnen ein wahres Spaceshuttle. Auch hier sind einzig und allein die Massen an Menschen das Problem. Einen Sitzplatz in der Metro zu ergattern ist ungefähr so utopisch wie ein Parkplatz in Hamburg an der Alster.
Beim Betreten der Metro gibt es ein Gedränge wie auf einem Rockkonzert, jeder möchte versuchen das unmögliche möglich zu machen. Ich bin meistens noch froh nicht niedergetrampelt worden zu sein und erfreue mich an den klimatisierten Wagons und dem Geruch nach kaltem Schweiß.

Ihr seht also, in Delhi von A nach B zu kommen ist durchaus abenteuerlich, man freut sich aber umso mehr wenn man es dann endlich geschafft hat und ab 11 Uhr abends sind die Straßen so leergefegt, dass man mit der Rikscha problemlos überallhin in Rekordzeit kommen kann. Die Rikschas sind sowieso der Grund, warum ich den Verkehr hier, so katastrophal er manchmal auch sein mag, einfach in mein Herz geschlossen habe. Überall findet man eine Rikscha, kommt immer von A nach B und das für umgerechnet weniger als 2 Euro. Des Weiteren hatte ich schon die interessantesten Gespräche mit Rikschafahrern über Politik, das Wetter, Hitler, Religion, das Leben und die Welt.

Die Rikschas und ihre Fahrer werde ich - und da bin ich mir sicher - in Deutschland sehr vermissen, wo man nur beim Betreten eines Taxis (wenn man denn endlich mal eins gefunden hat) bereits 2,50€ Standgebühr aufbringen muss.

Sport:

Wie viele sicherlich bereits wissen, ist hierzulande Cricket (zu deutsch: "Kricket") der Nationalsport. Egal unter welchen Umständen, ob mit professioneller Ausrüstung oder mit Stock und Stein, auf einem Cricketfeld oder in engen Straßengassen - das Schlag-Wurf-Spiel wird überall praktiziert. Indien ist im absoluten Cricketfieber. Ständig finden irgendwelche Matches, Spiele und Turniere statt, wo das indische Cricket Team - der Stolz aller Inder - auf Länder wie Neuseeland, Südafrika, Sri Lanka und Pakistan trifft. Besonders brisant wird es, wenn Indien gegen Pakistan spielt. Egal unter welchen Umständen, ob Weltmeisterschaftsfinale oder einfach nur ein "Freundschaftsspiel"...wenn Indien Pakistan schlägt, ist hier die Hölle los. Die Menschen feiern auf den Straßen, lassen Raketen knallen und fahren hupend mit Autokorsos durch die Stadt. Letzteres ist allerdings nur vermutet, da man zwischen einem siegesbedingten Autokorso und dem alltäglichen Verkehr Delhis nur schwer unterscheiden kann. Das Spiel, was hier alle komplett durchdrehen lässt, ähnelt stark dem Baseball, ist nur noch etwas langweiliger. Ich möchte hier nun nicht genauer auf das umfassende Regelwerk eingehen, daher würde ich empfehlen, dass sich Interessenten einfach diesem Link widmen und alles in Ruhe studieren (http://static.cricinfo.com/db/ABOUT_CRICKET/EXPLANATION/WHAT_IS_CRICKET.html).

Das weibliche Geschlecht findet man auf Kricketfeldern übrigens meist vergeblich; und wenn, dann nur als tuschelnde Mädchenclique am Spielfeldrand. Cricket ist Männersache hier in Indien und es scheint so, als würden sich daran auch alle halten. Den Frauen bleibt immerhin noch Badminton, ein ebenfalls beliebter Sport in Indien, den die Familien am Sonntag im Park gerne ausüben. Es macht Spaß den Kindern zuzuschauen, wie sie fröhlich quiekend den Trichter-förmigen Federball mit den leichten Schlägern hin und her schlagen. Es ist einer der wenigen Sportarten, bei man Mann und Frau gemeinsam spielen sieht.
Ein großer Trend - wie ja auch in Deutschland vor einigen Jahren - sind die Gyms, also Fitnesstudios. Bilder von Arnold Schwarzenegger und anderen muskelbepackten Hollywoodstars im Schaufenster suggerieren die Möglichkeit diesen Schönheitsidealen so nahe wie möglich zu kommen. Ich selbst habe mich, mangels ausreichender sportlicher Aktivität, vor einigen Monaten dort angemeldet und bin froh, mich endlich mal wieder bewegen zu können. Dies ist zwar überwiegend ein Platz für Männer, es finden aber auch immer wieder erstaunlich viele Frauen den Weg in die katakombenähnlichen Trainingsräumen, um in Kurta fleißig auf den Trimmfahrrädern zu strampeln.
Des weiteren habe ich mich beim Fußballtraining angemeldet (lach). Es ist ein zusammengewürfelter Haufen von Spaß am Bolzen habenden Spielern, welche auf das Kommando eines alten, erfahrenen Trainers hören. Es Macht Spaß und hat mit seinen drei Stunden Trainingsdauer auch seinen gezielten Effekt: man ist ordentlich am schwitzen. Nicht zuletzt auch wegen den momentan herrschenden Temperaturen um die 36 Grad. Aber Spaß macht es allemal und das Beste: wir spielen und trainieren doch tatsächlich in dem weltberühmten Jawaharlal Stadium, das 2010 extra für die Commonwealth Games ausgebaut wurde und in welchem bereits der FC Bayern gespielt haben soll.
Meine ersten Fußballtrainingseinheiten in einem solchen Stadion abhalten zu dürfen war natürlich schon besonders episch. Auf dem gesamten Gelände werden jegliche Formen der Leichtathletik, Volleyball, Basketball und viele weitere Sportarten ausgeübt und trainiert.

Das schöne JLN Stadium auf einer indischen Briefmarke 
Mein erster Eindruck, Sport würde hier in Delhi - außer vielleicht Cricket - überhaupt nicht praktiziert werden, war somit also falsch. Man muss halt nur nach den großen Stadien oder nach teuren Sportskomplexen, in denen man gegen einen saftigen Monatsbeitrag jegliche Sportart ausüben darf, Ausschau halten.
Alle, die jedoch wenig bis gar kein Geld haben, bleibt nur das Cricketspielen auf der Straßen oder auf zugemüllten öffentlichen Plätzen.

Das waren soweit meine Gedankengänge, ich werde in absehbarer Zeit bestimmt wieder mal "brainstormen".

Bleibt bis dahin alle fit und passt auf im Straßenverkehr!


Grüße,


Euer Jonas