Mittwoch, 18. Dezember 2013

Brainstorming

Da ich nun seit etwas mehr als drei Monaten in Indien meinen Alltag verbringe, möchte ich in diesem Blogeintrag näher auf das Leben hier eingehen, damit ihr euch ein detaillierteres Bild von Indien bzw. Delhi im Speziellen, schaffen könnt. 
Die Themenbereiche, über die ich nun schreiben möchte, kamen mir nach langem Grübeln, während einer (extrem) langen Metrofahrt in den Sinn. Aufgrund eines ergatterten Sitzplatzes in der Metro (konnte es selbst kaum glauben), war ich sogar in der Lage, mir ein paar Notizen zu machen.
Durch Gespräche mit anderen Freiwilligen oder ausländischen Studenten versuche ich in Bezug auf die meisten Themen möglichst objektiv zu bleiben. Bei bestimmten Themen, die mir sehr am Herzen liegen, schreibe ich jedoch meine eigene, subjektive Meinung. Für eventuelle Vergleiche mit der „anderen Seite“ schlage ich das 'National Portal of India' vor. Hier der Link: http://india.gov.in/.

Das erste Thema, worüber ich gerne sprechen würde ist folgendes: 


Müll/Smog:

Er liegt überall, teilweise zu meterhohen Bergen zusammengekehrt, ist ein Schlaraffenland für Bakterien und Krankheitserreger, zerstört die Ästhetik des Stadtbildes, ernährt die freilaufenden Hunde, Ziegen, Affen und Kühe, die davon auch nicht gesünder werden und er stinkt; bestialisch.


In einer Großstadt wie Delhi stellt Müll ein besonders großes Problem dar. Aber der Staat wäre ja kein Staat wenn er nicht Probleme zu lösen versuchen würde. Überall sind große Schilder mit der Aufschrift „Clean Delhi, Green Delhi“ angebracht. Super! Es geht voran. Danke für die Hilfe.
Das Problem dabei ist nur: wohin dann mit dem Müll? Mülleimer sucht man in Delhi nämlich vergeblich. Außer an bestimmten Bushaltestellen und innerhalb (!) der riesigen Einkaufszentren findet man hier weit und breit keinen Müllschlucker. „Die würden abgeschraubt werden, sobald man welche anbringen würde“, versuchte mir mal ein Computer-Engineerin-Student zu erklären. Okay, klingt logisch, dachte ich mir da.
Immerhin versuchen die Menschen, aufgefordert durch „Clean Delhi, Green Delhi“, den nächstgrößeren Müllhaufen zu finden, um ihren Müll dort zu entsorgen und nicht einfach sinnlos auf die Straße zu werfen, wo noch kein Müll ist – wer macht denn auch sowas...
Jetzt im Dezember wird das Müllproblem allerdings immer schlimmer, denn nun werden überall am Straßenrand kleine Lagerfeuer entfacht, zum Schutz vor der Eiseskälte. Dabei wird alles verbrannt, was man so an Müll finden kann. Unter diesem Aspekt hat Delhi eindeutig genügend „Feuerholz“ zu bieten, sodass Obdachlose, Bettler und Rikschafahrer, die meist nur ihre Rikscha als Zuhause haben, nicht erfrieren können.
Die Luft feiert das ganze allerdings nicht so doll. Der Smog gehört leider ebenso zu Dehli wie der Müll, und er ist allgegenwärtig. Besonders nachts kann man keine 30 Meter weit gucken, alles ist umhüllt von einer dicken, stinkenden Nebelwand, welche, in Verbindung mit den einzelnen Straßenlaternen und Blinklichter eine kafkaeske Grundstimmung hervorruft. Alles wirkt wie in einem schlechten Traum; im Dunkel hält man sich zu dieser Zeit deswegen nicht gerne draußen auf.
Man kann nur hoffen, dass bald gewisse (und ernsthaft gemeinte) Rettungsversuche unternommen werden, um die Luft Delhis zu verbessern. Sie ist sogar schlechter als Pekings Smogpartnerin, wie es 'Die Zeit' in einem empfehlenswerten Artikel zusammengefasst hat (http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2013-02/smog-delhi-indien). Dadurch habe ich auch erfahren, dass mehr als 25 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter als schädlich gelten, wenn man die verseuchte Luft mehr als 24 Stunden am Stück einatmet“ (Zeit Artikel; siehe Link). Delhis jährlicher Feinstaub liegt allerdings bei ca. 200 Mikrogramm pro Kubikmeter. Aus diesem Grund bin ich ernsthaft am Überlegen mir ein „Banditenhalstuch“ zuzulegen: Schützt vor dem gröbsten Feinstaub und sieht dazu auch noch saucool aus. Ansonsten würde ich nach diesem Jahr in Deutschland eine Lungentransplantation benötigen. Und das muss ja nicht sein.



                                            "Clean Delhi Green Delhi" ...
                                            Eine "aufgeräumte" Müllkippe
                                           Das ist kein Nebel, das ist Smog. 

Ein ganz anderes Thema über das ich gerne sprechen würde ist der Kleidungsstil:

Gedrängel und Gewusel jeden morgen auf dem Weg zur Arbeit - alles voller Menschen. Doch wie ziehen sich die Menschen in Delhi an? 
Für die Männer im "typischen" Stadtbild Delhis ist nur ein Kleidungsstück von existenzieller Wichtigkeit: das Hemd. Jeder, aber wirklich jeder Inder (außer beim Sport) trägt ein Hemd, egal welches Alter, welche gesellschaftliche Klasse oder welcher Beruf. Das Hemd darf nicht fehlen. Dazu, egal ob Winter oder Sommer, eine lange Hose (bei der jüngeren Generation möglichst slim-fit) mit Halbschuhen, Sandalen oder Flip Flops. Letztere werden sogar auch im Winter getragen, was zu Schal, Pullunder und Jacke teilweise komisch, wenn teilweise nicht richtig durchdacht wirkt.
Die Frauen sind diesbezüglich etwas kreativer. Zwar tragen viele von ihnen auch im Winter weiterhin FlipFlops/Sandalen, jedoch teilweise mit Socken, welche extra eine Einbuchtung neben dem großen Onkel haben, sodass man sie wunderbar auch in Flip Flops anziehen kann. Genial.
Ansonsten tragen die meisten Frauen einen Sari, ein 5meter langes, um den Körper geschlungenes Tuch mit wunderschönen Mustern und Farbkombinationen. Ist es kein Sari, so trägt die Frau eine Kurta, welche aus einer schlabbrigen Baumwollhose und einem verlängerten Hemd besteht, natürlich auch in allen möglichen, schönen Farben. Dies gilt als Alltagskleidung, da sie meist praktischer und bequemer als der Sari ist. Die Kurta wird generell auch von Männern getragen, hier in Delhi kommt dies jedoch eher selten vor. Viele Frauen tragen auch Jeans mit Top und (jetzt im Winter) Mantel, welches nicht als traditionelle sonder eher "westliche" Kleidung gilt.


            Egal ob Fahrradkurier, Saftverkäufer oder Mr. Superwichtig mit Aktentasche - das Hemd darf nicht fehlen! 
                                          Frauen in Kurtas mit ihren Kindern


Klima:

Es ist entweder zu heiß oder zu kalt, etwas dazwischen gibt es nicht. Im Sommer schläft man komplett ohne Decke aber mit ständiger Ventilatorenpenetration. Im Winter dagegen mit allen Decken, die man finden kann und, wer sich den Luxus leisten kann, mit einem Heater, der vor das Bett gestellt wird. Dieser Aufwand ist durch die schlechte Isolation der Häuser bedingt.
Das angenehmste Klima war während der Übergangszeit zwischen Sommer und Winter, Anfang November. Leider hielt dieser "Herbst" nur für ca. 5 Tage an. Schade. Bin mal gespannt, wie es während der Monsunzeit im Juni/Juli sein wird. Ich halte euch auf dem Laufenden.

Musik/Bollywood: 

"Party all night, party all night..." oder "Lungi dance, Lungi dance" sind nur einige vieler Bollywood Songs, die an jeder Ecke, in jedem Auto, auf jeder Hochzeit und in jedem Club gespielt werden. Im Prinzip sind alle dieser (Hindi-) Songs aus den unterschiedlichsten Bollywood Filmen, die, wie einige sicherlich wissen, in der Regel ein bisschen wie Musicals aufgebaut sind: Viel Tanz und Gesang zur Untermalung der Handlung.
Nichtsdestotrotz kennt jeder, aber wirklich jeder, jeden Song und jeden Artist, der den Song singt bzw. in dem Film mitspielt. Egal, ob im Slum oder in den großen Einkaufszentren - hier spielt überall die gleiche Musik. Es ist, das kann man sagen, ein wichtiges Fundament der Kultur. Man trifft häufig Menschen, die auf den Straßen ihren Lieblingssong vor sich hin singen und fragt man einen Rikschafahrer, ob er denn bitte seinen Lieblings Hindi-Song zum Besten geben könnte, so lässt er sich dies nicht zweimal sagen und trällert gleich los. Klingt erstaunlich gut! Gleiches gilt für das Tanzen. Man hat das Gefühl, dass die Babys hier erst das Tanzen lernen, bevor sie mit dem Laufen anfangen. Auch auf Hochzeiten oder Geburtstagen wird zu rhythmischen Trommelschlägen getanzt und gefeiert. Das alles lässt einen blass aussehen, wenn man denkt, wie in Deutschland auf Ü30 Partys oder auch auf einigen Hochzeiten das Tanzbein geschwungen wird (Stichwort Wiener Walzer...). Aber gut, ich möchte hier nun nicht unterschiedliche kulturelle Sitten und Gebräuche gegenüberstellen... Der Wiener Walzer hat bestimmt auch irgendwo positive Seiten.
Zusammenfassend ist es schön überall Beats und Rhythmen zu hören und Menschen auf den Straßen singen und (zu gegebenen Anlässen) tanzen zu sehen.
Übrigens hat man das Gefühl, dass viele der heutzutage angesagten Clubsongs aus Amerika (mindestens) 5 Jahre alten Hindisongs in Versmaß, Melodie und Beat erschreckend ähnlich sind. Aber das ist bestimmt nur Zufall.

Sonstiges:

Meine Lieblingskategorie. Hier schreibe ich alles rein, was mir so hier und da mal aufgefallen ist und nicht wirklich unter einen bestimmten Punkt unterzuordnen ist.
Männer lachen in der Regel nicht auf Fotos. Das ist einfach so. Wenn man(n) vor den unterschiedlichsten Dingen für ein Foto posiert, so versucht man so cool wie irgend möglich zu wirken. Ein Lächeln kommt da nur selten über die Lippen.
Wenn man sagt, dass man aus Deutschland kommt, so gibt es prinzipiell zwei unterschiedliche Antwortsätze, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf die Aussage folgen:
Entweder es kommt "Oh, it's such a nice Country!" oder "Ah, Adolf Hitler. Is he still in Power?". Leider wird der werte Herr hier als ein "well brained" Mann angesehen, der große Visionen und Ideen hatte, nur bei der Umsetzung wurde etwas gepfuscht. Wenn man dann versucht zu erklären, dass dieser Mann wohl einer der schlimmsten, brutalsten und bösesten Menschen der Geschichte war, so kriegt man nur einen verständnislosen Blick zugeworfen. Das Hakenkreuz, bzw. "Swastika" gehört übrigens auch zu dem typischen "Stadtbild". Es ist allerdings ein Hindusymbol und keineswegs mit "dem" Hakenkreuz von Hitler gleichzusetzen. Trotzdem wird einem mulmig zumute, wenn man Parteienflaggen mit Hakenkreuz durch die Stadt ziehen oder Tempelanlagen mit diesem Symbol verziert sieht.

                                         Hindutempel mit Swatika (Hakenkreuz)

Desweiteren soll man bei "Blockierung der Metrotüren" entweder 5000 Rupien (ca. 62 €) Strafe zahlen, oder 4 Jahre in den Knast. Oder aber beides. Man kann es sich da wohl aussuchen. Die Geldstrafe wählt bestimmt keiner.


So, das soll es erstmal gewesen sein mit meinem "Brainstorming". Ich melde mich nach Neujahr wieder, mit tollen Bildern von den Stränden Goas und den Backwaters in Kerala, versprochen.
Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Fortsetzung folgt,

Hab euch lieb,

Euer Jonas

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Ich lebe noch!

Liebe treue Blogleser,

zunächst einmal möchte ich ein ganz dickes "Entschuldigung" aussprechen, dass ich mich nun erst wieder melde. Es ist viel passiert innerhalb der nunmehr fast 4 Wochen (sorry!!), wobei das sicherlich nicht alle Bologneser interessiert hätte.

Hier zunächst mein Quartalsbericht, der die letzten 3 aufregenden Monaten bezüglich meiner Arbeit und dem WG-Leben in dem kulturell (teilweise) herausfordernden Land Indien resümiert. Es werden bald einige Blogeinträge über den ein oder anderen Wochenendtrip außerhalb Delhis folgen, versprochen!

Nur mal kurz die Welt retten


Mann, wie die Zeit vergeht! Die ersten drei Monate meines IJFD Dienstes in Neu Delhi, Indien sind bereits vorbei und es fühlt sich an, als ob ich hier bereits seit 2 Jahre leben würde.
Aber der Reihe nach...

Nachdem wir (Markus, Lisa, Jenny, Rebecca und meine Wenigkeit) problemlos mit dem Taxi vom Flughafen abgeholt und zu unseren jeweiligen Wohnungen gefahren wurden, bereiteten mir Lisa und Gitti einen herzlichen Empfang. Ich – noch immer vollkommen geplättet von all den Eindrücken, welche wie Hagelkörner während der Taxi-Fahrt zur Wohnung auf mich eingeschlagen waren – war völlig erschöpft von dem endlos langen Flug und versuchte mich bei angenehmen 36° erst einmal auszuruhen – vergeblich. Die schlechte Luft, der Smog, der Staub und die Hitze machten mir die ersten paar Tage dann doch mehr zu schaffen, als erwartet. Ohne die Fans wäre ich sicherlich an einem Hitzekollaps gestorben und mein Dienst wäre zu Ende gewesen, bevor er überhaupt angefangen hat. Glücklicher Weise ist das ja nochmal gut gegangen.

Am nächsten Tag ging es dann auch gleich los in das Projekt. Bei einer Affenhitze fuhren Lisa und ich etwa 20 Minuten von unserer Wohnung zum Prayas Head Office. Nachdem mir Lisa bereits erzählt hatte, dass sie sich, obwohl sie 2 Wochen vor mir angekommen war, noch nicht wirklich in das Projekt einleben konnte und, statt mit den Kindern im Unterricht, hauptsächlich im Office am Computer arbeiten würde, war mir schon leicht mulmig zu Mute, was mich da erwarten würde.
Es gab ein kurzes „Hallo“ beim Chef des Head Offices, der auf mich gestresst, aber auch sehr nett wirkte und mir nach dem üblichen Begrüßungssmaltalk („How are you? How was your flight? Where do you live? Welcome at Prayas“ ect. pp.) gleich eine Lehrerin zur Seite stellte, die mich im Anschluss durch das Head Office, was gleichzeitig auch ein Mädchenheim ist, herumführte.
Das Head Office/Mädchenheim machte auf mich einen guten Eindruck. Dass gewisse „Standards“ hier anders sein würden, war mir selbstverständlich vorher klar und so wirkte der beißende Geruch der Toiletten im gesamten Gebäude nicht allzu störend.
Nachmittags malten wir mit den Mädchen aus dem Heim ein paar Bilder und gingen für eine halbe Stunde raus in den „Garten“ des Projekts, um „Ente, Ente, Gans“ und andere intellektuell herausfordernde Spiele zu spielen. Gleich der erste Tag hat mich in meinem Vorhaben, nach dem Abitur mit Kindern in einem Entwicklungsland zu arbeiten, bestätigt. Es war zwar durchaus anstrengend, gerade weil man mit zwei Wörtern Hindi („Namaste“ und „Chay“) nicht gerade all zu viele Konversationen mit den Kindern führen konnte, hat aber auch sehr viel Spaß gemacht und ich freute mich schon auf die nächsten Tage, die sich jedoch als relativ ereignislos herausstellen sollten.
In den darauffolgenden Tagen saßen wir im Büro, in dem Lisa die letzte Zeit immer gearbeitet hatte und taten nichts. Gar nichts. Es gab uns niemand eine Aufgabe und niemand fühlte sich dafür zuständig uns eine zu geben.  Unsere Koordinatorin (zumindest auf dem Papier) befand sich irgendwo im Nirgendwo und es dauerte ca. 1 ½ Wochen bis ich sie dann zum ersten mal sehen durfte. Nach einer (sehr) kurzen Vorstellung überreichte sie mir einen Zettel, in dem ich kurze Sätze darüber schreiben sollte, was ich mir von dem Projekt erwarte und warum ich diesen Dienst angetreten bin usw. . Ich fragte mich gar nicht erst, ob meine englische Bewerbung denn überhaupt gelesen wurde und versuchte diese so gut es ging in meinem Kopf zu rezitieren und vervollständigte das Blatt. Dann sagte sie mir, ich würde im Boys Center in Jahangirpuri in Nord-Delhi arbeiten und versicherte Lisa und mir, dass sie uns so bald wie Möglich eine Führung zu den verschiedenen Centern von Prayas organisieren würde und verschwand von dem Moment an wieder spurlos - wie Batman.
Es vergingen die ersten 2 Wochen, in denen wir bis zum Mittagessen immer im Büro saßen und nichts - manchmal auch gar nichts - zu tun hatten und erst am Nachmittag mit den Mädchen, die dann aus dem Unterricht kamen, malen und spielen konnten – das wirklich Gute an jedem Tag. Man freute sich nur auf den Nachmittag, wenngleich es auch schwer war sich nach 4 Stunden nichts tun wieder dazu zu motivieren mit den Kindern zu spielen. Somit war der Vormittag quasi Geschichts- und Chemie- und der Nachmittag Englisch- und Sportunterricht – langweilig und einschläfernd vs. interessant, spaßig und ereignisreich.
Als wir dann endlich die unterschiedlichen Center besuchen konnten, war die zweite Lisa bereits im Projekt eingetroffen. Das Boys Center, wo ich eigentlich arbeiten sollte war ca. 1 ½ Stunden (plus insgesamt 1 Stunde Fuß- bzw. Bus/Rikshafahrt) mit der Metro von unserer Wohnung entfernt und nicht gerade ein Ort des Friedens und der Glückseligkeit. Ich habe sofort gemerkt, dass dies nicht der Platz sein sollte, an dem ich für ein Jahr arbeiten würde, auch wenn es mir mit den Jungs sicherlich sehr viel Spaß gemacht hätte, so habe ich alle Mädchen und auch die Menschen, die im Office mit uns zusammen „arbeiten“ nach dem ersten Monat bereits in mein Herz geschlossen und wollte da nun auch eigentlich nicht mehr weg. Des weiteren habe ich mir eine Beschäftigung für die langweiligen Vormittage gesucht: Englischunterricht für einen der fleißigen Arbeiter im Office. Es machte mir viel Spaß und es freute mich sehr zu sehen, dass er wissbegierig und dankbar für den „professionellen“ Unterricht war.

Die Arbeit im Office wurde jedoch immer nerviger, da wir auf einmal mehr als nur alle Hände voll zu tun hatten. Nicht, dass ich mich über Arbeit beschweren will, ich habe ja immer darum gebeten, dass wir mal etwas zu tun bekommen, aber jetzt kamen alle möglichen Büroangestellte an und beluden uns mit irgendwelchen Aufgaben, die wir doch bitte für sie machen sollten. Das war ja alles schön und gut, aber die Tatsache, dass besagte Büroangestellte dann früher nach Hause gingen und zum Teil gar nicht mehr erschienen und wir ihre Arbeit machten ging uns dann doch zu weit. So suchten wir Hilfe bei der Leiterin des Education Offices. Sie betätigte ein paar Anrufe und in den darauffolgenden Tagen besuchten wir zahlreiche sogenannte Community Centers, in denen wir letzten Endes arbeiten sollten.

Der Jetzige Stand ist so, dass wir, also Lisa, Lisa und ich, jeweils drei Tage in den Community Centers und 2 ½ Tage in dem Head Office als Lehrer für die Kinder arbeiten. So wie ich mir das die ganze Zeit vorgestellt hatte. Obwohl uns gesagt wurde, dass die Freiwilligen der letzten Jahre die Klassen wohl nicht „weitergebracht“ hätten und wir deshalb eher im Office arbeiten sollten (wo wir ja bekannter Weise wenig zu tun hatten), habe ich dennoch den Eindruck, dass wir sowohl die Lehrer im Head Office als auch die im Community Center durch unser Dasein mehr als nur unterstützten. Es gibt klare Arbeitsteilung: Ich bin für die English- und Mathe-, die Lehrerin im Community Center für Hindiaufgaben zuständig. Dieses Konzept geht prima auf und nun bin ich mit meiner Arbeit mehr als nur zufrieden.

Fazit: Es war zu Beginn sehr schwer seine Aufgabe zu finden, da keine Person sich für einen zuständig fühlte und es war besonders schwer einen Sinn hinter dem Nichtstun zu erkennen. Nach einiger Zeit jedoch merkt man, welche Personen einem wirklich helfen können und die Arbeit dort auch ernst nehmen. Nun bin ich sehr glücklich mit meiner Arbeit und freue mich immer wieder jeden Tag auf die Kiddies, die mich jeden Morgen zur Begrüßung umarmen – alle 30! Bei welchem „Job“ wird man denn schon so sehr geliebt?

In die WG habe ich mich auch sehr schnell einleben können. Ich wohne mit 4(!) Mädchen in einer Wohnung für 4 Personen, was bedeutet, dass ich mir im Wohnzimmer, abgetrennt durch einen selbstgebauten Vorhang, mein eigenes Zimmer einrichten musste – Privatsphäre ist so selten gegeben und manchmal wünsche ich mir einfach die Tür schließen zu können und ruhig in meinem eigenen Zimmer sein zu können, aber die Mädchen teilen ihr Zimmer ja in der Regel ebenfalls mit einer Person, von daher ist das schon okay. Glücklicher Weise gibt es innerhalb Delhis noch weitere Jungs, zu den ich hin und wieder „flüchten“ kann; denn wenngleich ich alle meine Mitbewohnerinnen wirklich lieb habe und wir uns alle super ergänzen, so brauche ich manchmal einfach doch Jungs um mich herum, für Gespräche oder teilweise auch, um mal andere Musik hören zu können.
Aber ich habe mich super eingelebt und wir sind zu einer guten Gemeinschaft zusammen gewachsen. Trotz der kleinen eben angesprochenen Probleme möchte ich hier eigentlich nicht mehr weg ziehen und bin froh, so liebe Mitbewohnerinnen um mich rum zu haben, die einen aufbauen und immer für einen da sind. Da hätte ich es durchaus schlimmer treffen können.

Des weiteren kann ich über meinen IJFD sagen, dass er mich in so vielen Bereichen weiter gebracht hat, die ich hier gar nicht alle aufzählen kann, weil es den Rahmen dieses Berichts durchaus sprengen würde. Nichtsdestotrotz empfinde ich Indien als ein unglaublich interessantes und kulturell ansprechendes Land, welches so viele Fragen aufwirft, die ich durch Gespräche mit Indern oder mit den anderen Freiwilligen zu erklären bzw. zu verstehen versuche, sei es die arrangierte Hochzeit, das Wirtschaftswachstum oder die Sackgasse namens Kultur, die Indien so prägt und definiert. Das alles lässt mich langsam die Globalisierung und all ihre Auswirkungen besser verstehen, da man im Prinzip einen vollkommen anderen Blickwinkel auf alles entwickelt hat und genau das macht diesen Freiwilligendienst aus und ich bin sehr dankbar hier sein zu dürfen und bin gespannt, was ich in meinem nächsten Quartalsbericht alles berichten werde.



Kuss und Schluss,


Euer Jonas