Dienstag, 22. Oktober 2013

Lehrer sind ja auch nur Menschen.

Anlässlich des "Weltlehrertags" widme ich diesen etwas verspäteten Blogeintrag allen Lehrer auf der ganzen Welt, insbesondere all denjenigen, die mich unterrichtet haben.

Bei meiner Arbeit als Freiwilliger im Community Center (C.C.) habe ich erstmals seit meinem Abitur die Möglichkeit als Lehrer zu agieren, das Schulleben also von der "dunklen Seite der Macht" zu betrachten.
Im Folgenden werde ich eine Art Stundenplan zusammenstellen, die einen typischen (wenngleich es eigentlich gar keinen routinemäßigen 0815-Tag im C.C. gibt) Schultag darstellen sollen:


9:45 am:
Ich mache mich auf dem Weg in ein kleines Stadtviertel in Neu Delhi, vorbei an Müllbergen und Abwässern, Marktständen und Klamottenläden, Wasserausgaben und Bettlern und an hunderten hupenden Fahrzeugen aller Art, bis ich das kleine Community Center in einer engen Seitenstraße erreiche.

10:30 am:
Die Kinder beenden gerade ihre morgendliche Motivationshymne (sobald ich alles übersetzt habe, poste ich die Lyrics), zeigen ihre Fingernägel der Lehrerin und begrüßen mich mit einem fröhlichem "Good morning Johnny Ji!". Die diszipliniertesten 2 Minuten eines jeden Schultages.

10:32 am:
Ich nehme auf dem kleinen Plastikstuhl neben der Lehrerin "Sunita" Platz, angrenzend an den Schülern, welche direkt zu meinen Füßen auf dem Boden brav im Schneidersitzt sitzen.

10:33am:
Ein letzter Schluck aus meiner Wasserflasche und ich bin bereit für neue Aufgaben!

10:35 - 11:35 am:
Nun Wechsel ich mich mit Sunita ab, die Aufgaben der Schüler zu korrigieren. Hierbei sind Englisch, Mathe und Kunst (ja, wirklich!) mein Spezialgebiet, das überaus wichtige Hindi überlasse ich dann aber lieber doch der Sunita. Es kommen nun also die Schüler (3-14 Jahre jung) mit ihren Heftchen und legen mir hin, was sie eben oder zu Hause so erarbeitet haben. Dabei handelt es sich, je nach "Leistungsstand" entweder um einfache Rechenaufgabe wie 12+23 (untereinander geschrieben versteht sich), um das Aufschreiben des englischen Alphabetes und Obstnamen oder aber um sogar richtige kurze englische Sätze. Es macht wirklich Spaß ihnen die Aufgaben zu geben und sie korrigieren zu können. Meine "very-good-Smileys", die es für besonders schön ausgeführte oder einfach richtig geschriebene Aufgaben ins Heft gemalt gibt, erfreuen sich großer Beliebtheit.
Das Problem ist teilweise, dass die wenigsten wirklich vollständige Sätze hinbekommen, meist nur auswendig gelernte ( My name is... My fathers name is...) und vor allen Dingen, dass der Raum durch Poster vom großen 1x1, von Obst-und Tiernamen auf englisch und natürlich auch vom Alphabet geschmückt ist. Die meisten Aufgaben werden somit einfach nur abgeschrieben und der Lerneffekt ist nicht wirklich vorhanden. Wenn ich einer Schülerin/Schüler die Aufgabe geben, auf das Heft zu gucken und nicht "Elephant"vom "Animals Hindi-English"-Poster "abzumalen", dann gucke ich in große Kulleraugen und in verschämt kichernde Gesichter.
Dabei muss ich eins loswerden. Fasim, ist der intelligenteste Schüler und auch einer der ältesten. Sein englisches Vokabular ist bemerkenswert, wenngleich er auch grammatikalisch kaum einen Satz bilden kann, aber wir arbeiten daran. Dieser Fasim ist sich seiner Rolle als "Musterschüler" jedoch durchaus bewusst und spielt innerhalb der Klasse den Oberboss. Wenn er redet, haben die Krümel zu schweigen. Sein Heft kommt als erstes dran, egal wie viel andere vor ihm dran waren ... aber nicht bei mir, auch nicht wenn er mir immer Kekse von zu Hause mitbringt und mich betätschelt. Das zieht nicht, mein Lieber.
Also der Streber-Einschleim-Typ ist nicht nur bei Schülern absolut unbeliebt, sondern kommt bei mir zumindest auch bei der Lehrer Seite überhaupt nicht gut an. Nur für diejenigen, die noch nicht zu Schule gehen. Aber wenn man ihn fordert, dann setzt er sich ruhig hin und grübelt bis er auf die Lösung kommt. Ein wirklich intelligenter Junge, der es weit bringen könnte. Ich möchte ihm auf diesem Weg versuchen zu helfen, soweit es in meiner Möglichkeit liegt.
Sowieso gibt es die witzigsten Charaktere in diesem ca. 15qm großen Klassenraum. Zu jedem könnte ich eine eigene Geschichte erzählen, aber das würde diesen Blogeintrag sprengen.

11:36 am:
Die Schüler haben langsam keine Lust mehr zu sitzen und zu schreiben und werden hippelig. Diesen Moment nutzt die Sunita gerne mal aus, um ins Head Office zu gehen, weil sie dort etwas "erledigen muss". Ich werde dann also alleine gelassen. Aber kein Problem, versuchen wir es eben mit "Energizer", um die Kiddies ein bisschen von Papier und Stift abzulenken. Dafür werden teilweise drastische Maßnahmen ergriffen: Die Hits der frühen 2000er! Klassiker wie: "I like the Flowers", "Head and Shoulders, Knees and Toes" oder "Are you sleeping, brother John?" gehören dabei zu meinen absoluten Favoriten. Nachdem jeder Song 23 mal durchgesungen wurde setz ich mich zu den Schülern auf den Boden, wir bilden einen Kreis und machen Rhythmus-Spiele; ich gebe einen Beat vor, sie machen ihn nach. Klappt erstaunlich schlecht aber es macht ihnen Spaß und mir auch. Das ganze soll das Rhythmusgefühl und die Grobmotorik trainieren - um es mal aus pädagogischer Sicht zu betrachten.
Allerdings machen längst nicht alle Schüler mit. Die einen prügeln sich, die anderen auch. Ich, als autoritäre Lehrkraft muss da natürlich einschreiten. Da ich die Kinder, im Gegensatz zu meinen Kollegen, selbstverständlich nicht schlage, kann ich nur "Ruko!" (Aufhören!) schreien und die Störenfriede auseinander setzten. Dabei verhalten sie sich wie Kinder, die, sobald ich ihnen den Rücken zuwende, sofort wieder in ihre Ursprungsposition (prügelnd auf dem Boden) übergehen. Wirklich anstrengend das ganze, denn die Schüler, die im "Klatsch-Rhythmus-Kreis" etwas über Grobmotorik lernen wollten, fangen auch an sich gewalttätig zu unterhalten, sobald ich ihnen nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenke, da ich mit den Prügelknaben 2 Meter weiter beschäftigt bin. Das ganze bei 29° in einem kleinen Raum. Stress wird hier groß geschrieben.

11:50 am:
Siehe oben.

12 am:
12 Uhr Mittags. High Noon. Ab jetzt wird es wirklich stressig. Das Mittagessen vom Head Office wird offiziell um 1 geliefert (kommt meistens aber so gegen 1:45). Die letzte Stunde vorm Mittag ist wirklich immer der Horror. Alle laufen kreuz und quer durch den Klassenraum (zwei Schritte nach links, drei nach hinten) prügeln sich, kokeln mit "Wunderstreichhölzern" (haben vorne eine kleine Magnesiumspitze, funktionieren wie Wunderkerzen nur kürzer) oder malen in einer Ecke. Hierbei danke an meine Lieblingsschülerinnen! 4 Mädchen sitzen immer in ihrer Ecke und malen seelenruhig alles was ihn durch den Kopf geht oder was ich ihnen vorgebe zu malen. Ein großes Dankeschön an euch hierbei.
Nun versuche ich wie ein Workaholic alle Dinge gleichzeitig zu machen: die Bilder mit "Very-Good-Smileys" zu versehen, gleichzeitig Käsekästchen mit Assim zu spielen, während ich 3 feindliche Schlägertrupps voneinander fern halten muss und nebenbei noch dem Streber erklären muss warum 'Elephant' mit e und nicht mit a geschrieben wird (im Englischen gar nicht so einfach, da der Sound in 'Elephant' eher einem a als einem e entspricht.. da hat der Fasim schon recht.).

ca. 1:44 am:
Endlich! Das Essen ist da. Alle verlassen umgehend ihre aktuellen Positionen (auf dem Boden, unterm Tisch, auf meiner rechten Schulter, in der Malerecke oder auf meiner linken Schulter) und rennen zum Rikschafahrer um Reis und Dal (Linsenpampe) entgegenzunehmen. Dann endlich kehrt die mahlzeitliche Ruhe ein, wie man sie auch in Deutschland kennt. Ich, voller Erschöpfung, freue mich jedes mal über diesen Moment.
Dann verabschiede ich mich und gehe meistens noch in das Head Office, wo ich mit den Mädchen dann Karten spiele, male oder draußen "Ente-Ente-Gans" und Ball spiele. Im Vergleich zu den Begebenheiten im Community Center teilweise ein Erholungsurlaub.
Aber dennoch freue ich mich jedes mal, die Kinder täglich zum Lachen gebracht zu haben. Das motiviert mich täglich immer wieder in die "Höhle der Löwen" zu kommen.

Abschließend möchte ich - passend zum Thema dieses Blogeintrages - mich bei all meinen ehemaligen Lehrern bedanken, für Ihr Engagement, Ihre Geduld und Ihr Verständnis für alles. Besonders möchte ich mich bei denjenigen entschuldigen, denen ich eventuell besonders auf die Nerven gegangen bin. Damals konnte ich das noch nicht richtig einschätzen, also hier ein ganz dickes "Sorry!" an alle! Ich weiß nun, dass Sie es keinesfalls immer leicht haben. Also halten Sie durch!

Ihr Kollege aus Indien
(Euer Jonas)


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