Mittwoch, 12. März 2014

Wie schnell die Zeit vergeht. Halbzeit!


Abpfiff, Halbzeit! Die ersten 6 Monate sind nunmehr um, mein erstes halbes Jahr in Indien ist bereits Vergangenheit. Der folgende Zwischenbericht reflektiert mein Auftreten im Gastland und erzählt von interkulturellen Herausforderungen und Missverständnissen.

Nachdem es innerhalb der ersten 3 Monate schwierig war, im Projekt Fuß zu fassen, so habe ich mich mittlerweile vollständig „einarbeiten“ können. Meine pädagogische Arbeit mit den Kindern im Head Office und (gerade) im Community Center fordert mich, macht mir Spaß und freut die Kinder, was ich den täglich lächelnden Gesichtern entnehme, in die ich blicke, wenn ich morgens ins Projekt komme.
Nicht nur im Projekt läuft alles rund, sondern auch das Leben hier in Delhi könnte für mich besser nicht laufen, nachdem man gewisse interkulturelle Herausforderungen erlebt, gemeistert und letztendlich daraus gelernt hat.
Die Rolle als „Weißer“ hier in Indien habe ich nunmehr akzeptieren müssen. Man wird so oder so als „besser“ und „wohlhabender“ behandelt; es wird einem auf diese Art suggeriert und gezeigt, dass man hier Ausländer ist und nicht gleichberechtigt wie andere Inder behandelt wird. Natürlich möchte ich mich nicht beklagen, denn wie gesagt, man wird als „Weißer“ gut, ja sogar bevorzugt behandelt. Hier ein kleines Beispiel:
Als ich einmal in der Metro gefahren bin, stand eine etwa 65 jährige Oma von ihrem Platz auf und forderte mich auf, sich hinzusetzten. Ich war so perplex in diesem Moment, dass ich mich sogar tatsächlich erst einmal hingesetzt habe, ehe ich sofort wieder aufsprang und die älteren Dame selbstverständlich dazu anwies, sich wieder auf ihren ehemaligen Platz zu setzen. Diese verneinte jedoch und so blieb der Platz so lange leer, bis sich ein Mann, dem das Ganze wohl etwas zu bunt wurde, dazu bewegte, sich auf besagten Platz zu setzen.
Nichtsdestotrotz hat mich dieser „positive“ Rassismus zu Beginn meines Lebens hier sehr beschäftigt, ich empfand ihn als unangenehm und lästig. Mittlerweile habe ich ihn jedoch soweit akzeptiert und versuche natürlich durch stereotypisch gegenteilige Handlungen etwas von dem „weißen“ Ruf zu ändern.


Viele kulturelle Missverständnisse waren prinzipiell leichter zu verarbeiten. Den meisten Menschen hier in der Nachbarschaft fällt es beispielsweise schwer zu verstehen, dass ich zusammen mit vier Mädchen in einer WG wohne. Unseren Freunden im Supermarkt haben wir unzählige Male versucht zu erklären, dass wir alle nur Freunde sind, aber stattdessen werde ich immer wieder aufs neue gefragt, mit welchem Mädchen ich denn verwandt bin. Da sie es nicht akzeptieren/verstehen können, dass nur befreundete Männer und Frauen zusammen in einer Wohngemeinschaft leben – da unüblich in Indien – versuchen sie sich auf die für sie logischste Erklärung zu berufen.
Man stößt eben nicht immer auf Verständnis unserer Kultur, die hiesige Kultur wird quasi teilweise als die einzig Richtige empfunden. Also bin ich nun der Cousin von Lisa und alle sind glücklich.

Diese interkulturellen Gegensätze wirken sich auch häufig auf meine Meinungsäußerung aus. Ich habe innerhalb der letzten sechs Monate des Öfteren erfahren müssen, dass, so falsch ich die arrangierte Ehe persönlich auch finden mag, ich meine Meinung eher für mich behalten sollte, da Kritik an beteiligten Menschen in Bezug auf solche Themen durchaus als Beleidigungen interpretiert werden können. Wenn mich jemand kulturell kritisieren würde, indem er beispielsweise behauptet Schweinefleisch zu essen und dazu Bier zu trinken sei vollkommen ungesund, barbarisch und einfach falsch, so würde ich es zwar akzeptieren, mir aber am selben Abend womöglich noch ein Schweineschnitzel und ein (alkoholfreies) Weizen genehmigen.


Kulturen unterscheiden sich in manchen Dingen eben so prägnant voneinander, dass die Akzeptanz gewisser Unterschiede und Herausforderungen mitunter meine einzige Opportunität für das (Zusammen-)Leben innerhalb einer andere Kultur und Gesellschaft darstellt.
Unter diesem Aspekt ist es viel einfacher Fuß zu fassen und auch als Ausländer ein Teil der Gesellschaft zu sein. Viele Dinge sehe ich nunmehr sogar mit einem lächelnden Auge und konzentriere mich nicht mehr auf die interkulturell schwierigen Dinge, sondern versuche mit den erfahrenen Situationen, Missverständnissen und Herausforderungen tiefer in das Denken und die Tradition und Kultur der hier lebenden Inder einzutauchen – und das funktioniert gut!

Nach einem halben Jahr kann ich also sagen, dass ich nun vollständig angekommen bin und mich eingelebt habe. Nun bin ich noch viel offener für neuer Herausforderungen und besonders neugierig, was mich in den kommenden, noch verbleibenden sechs Monaten erwarten wird. Was es auch ist, ich bin bereit und freue mich auf alles was kommt.
Also Anpfiff für die zweite Halbzeit!


In diesem Sinne alles Gute,




Euer Jonas

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