Montag, 16. September 2013

Viphalatā

Seit meinem letzen Eintrag habe ich so viele neue, faszinierende Eindrücke gewinnen können, positive wie negative, die ich euch einfach nicht vorenthalten möchte.
Diesen Blogeintrag widme ich daher den Kindern im Projekt, einem Tag im am Qutub Minar und einem Krankenhausbesuch.

Mein erster Tag in meinem Projekt "Prayas" war sehr interessant, einprägsam und hat sehr viel Spaß gemacht.
Man gelangt von unserer Wohnung zu Fuß in 5 Minuten zur Bushaltestelle, von wo aus man sich auf eine feuchtfröhliche, ca. 15-20 Minuten andauernde Busfahrt bis zum Projekt freuen darf. Der Einstieg in besagten Partybus erfolgt hinten, wo direkt rechts auf dem ersten Sitz ein Mann mit Geldbündel Tickets verkauft: 10 Rupien für die roten Busse (komplett überfüllt aber AC) und 5 Rupien für die grünen Busse (maßlos überfüllt, keine Klimaanlage) - man hat die Wahl. Wir nehmen generell eigentlich immer den grünen Bus, nicht nur, weil es sparsamer ist, sondern auch, weil der Fahrtwind während der Fahrt im Prinzip ausreicht, um nicht komplett durchgeschwitzt bei der Arbeit anzukommen. Wenn Stau ist und der Bus steht, hat man allerdings ein Problem...

Bei der Arbeit angekommen, mussten wir zunächst an einem Wärter vorbei, bevor wir endlich in das Haus von Prayas durften. Dort angekommen wurden wir gleich vom Chef freundlich in Empfang genommen und von einer Lehrerin im Haus herumgeführt: wir haben die verschiedenen Büros gesehen, die Küche, die Klassenräume und den Essensraum/die Schlafräume für die Mädchen. Machte alles einen sehr netten Eindruck. Kurz zur Erläuterung: Es handelt sich hier um das "Head Office" von Prayas, also sozusagen die Zentrale von allen Einrichtungen die Prayas in ganz Indien verteilt hat (21). Gleichzeitig wohnen hier Mädchen von 7 bis 18, zum Unterricht sind aber auch Jungs dabei, welche jedoch zu Hause wohnen und nur zur Schule in das Projekt kommen. Es handelt sich hierbei um Mädchen, die teilweise wirklich krasse Sachen erlebt haben, was ich sehr schockierend fand. Viele von ihnen wurden zuhause geschlagen, misshandelt oder sexuell missbraucht. Nichtsdestotrotz war ich umso begeisterter, mit welcher Freude ich empfangen wurde. Alle wollten mir ihren supercoolen "Begrüßungs-Handshake" zeigen, sodass ich natürlich gleich kontern musste und ihnen auch einen beigebracht habe, den sie bis jetzt auch schon fast perfekt gelernt haben. Immer wenn ich morgens ins Projekt komme, stellen sich alle in einer Reihe auf und jeder will mich mit diesem Handshake begrüßen - total cool! Die Lisa (meine Projektpartnerin) wird hier "Diddi" genannt, was so viel heißt wie "große Schwester" und ich werde von den Kindern "Bhai" genannt, was, wer glaubt es kaum, so viel wie "großer Bruder" heißt. Gefällt mir sehr, find ich klasse! :D
Später haben wir alle noch im Garten "Coco" gespielt (ein kompliziertes Fangspiel) und schon war mein erster Tag auch rum. Wahnsinn, die Kinder haben mich so motiviert jeden Tag aufs neue dorthin zukommen und ich freue mich auch wirklich immer wenn ich mit einem breiten Grinsen empfangen werde.

Einen ausführlicheren Blog über die Arbeit, Prayas und was ich da ganz genau mache folgt später noch, das sollte erstmal ein kleines Resümee meines ersten "Arbeitstages" sein. Außerdem habe ich noch gar nicht alle Bereiche von Prayas hier in Delhi erkunden können (es gibt im Norden auch ein Boys Shelter), sodass ich noch nicht allzu viel sagen kann oder genau Bescheid weiß.

Der Tag am Qutb Minar war ebenfalls bereichernd schön. Das Qutb Minar ist ein Minarett, welches zu Beginn des 13. Jahrhunderts aus dunkelrotem (teilweise auch hellem) Sandstein gebaut wurde. Es zählt mit zu den höchsten Bauwerken (der Turm 72m immerhin) der islamischen Welt.
So. An diesem besagten Ort haben wir uns dann mit anderen Freiwilligen getroffen, einen auf Touri gemacht (endlich Fotos schießen, ohne dass man sich blöd vorkommt, yeaaah!) und am Ende in der extra für den ganzen Komplex angerichteten Parkanlage gechillt.





Es waren sehr viele Touristen zu sehen (auffällig, weil wir sonst immer die einzigen "weißen" weit und breit sind), aber auch sehr viele indische Familien nutzen den Sonntag um sich im großzügigen Park zu entspannen, zu picknicken oder mit den Kindern zu spielen. Ein Junge war dort im Park zusammen mit seiner Familie seinen 9. Geburtstag feierte. Das heißt aber jetzt nicht, dass er einen Partyhut aufhatte, ein Stück Torte von Coppenrath und Wiese im Mund und mit seinem neuen Waveboard durch die Anlage fuhr, nein. Er und sein Vater warfen sich gefühlte Stunden einen Tennisball hin und her - und er war der glücklichste Junge auf Erden. Ein wirklich schönes Bild. Da der Vater vor lauter Erschöpfung (der Junge hatte eine Energie das war unglaublich) kurz vorm abnibbeln war, beschloss ich seinen Part zu übernehmen und ich habe den Jungen weiter unterhalten indem wir uns den Ball weiter hin und her warfen; und ich muss ehrlich gestehen, dass es mir mindestens genau so viel Spaß gemacht hat wie ihm. Bis der Vater dann irgendwann sagte, dass nun genug sei, der kleine "Sanjy" sich bei mir bedankte (wobei ich das eher hätte tun sollen) und sich zu seinen Eltern setzte, die froh waren, ihn wieder bei sich zu haben.
Das alles an diesem Sonntag am Qutb Minar - ein wunderschöner Tag! Ich bin immer wieder erstaunt wie unglaublich grün Delhi ist.

                                                                  Hier kleines Beweisfoto. Ich mit Ball, 
                                                                  der Junge ist leider nicht mit drauf. 

Dann kam die Nacht von Dienstag auf Mittwoch, die Horrornacht, oder wie ich sie auch nenne: Die Nacht der Kloschüssel. Ich wache also schweißgebadet auf, da ich einen tierischen (Fieber-) Albtraum hatte und mein gesamter Kopf glüht wie Feuer. Von da ab an musste ich bis zum nächsten Morgen alle 10 Minuten auf Klo. Mein Körper besass kaum noch Wasser, wodurch es mir noch schlechter ging und ... ach, ich denke ich tue uns allen einen Gefallen wenn ich auf weitere Details bezüglich dieser Nacht nicht weiter eingehen werde. Ich lag den ganzen Tag also flach und mein Zustand hat sich nicht wirklich gebessert. Auch am nächsten Tag nicht und ich beschloss, mich selbst ins Krankenhaus einzuweisen.
Ich fuhr also mit der Rikscha (!) und 39.9° Fieber durch Delhi zum nächstgelegensten Krankenhaus, dem "Max Healthcare Hospital". Dort angekommen war ich zunächst geschockt, wie großzügig, sauber und gar prunkvoll die Anlage von außen aussah. Ich dachte ich bin im Berverly Hilton, die hatten sogar Pagen, die die Wagen geparkt haben.
Also begab ich mich schnurstracks zu der Rezeption an der ich mit schmerzverzerrtem Gesicht, mir den Bauch haltend um Hilfe bat. Nachdem ich mich registriert hatte (E-mail, Name, Anschrift, Namen des Vaters) hat er mir "Dr. Pankai Soni" (den Namen werde ich nie vergessen) auf einen Zettel geschrieben, den ich im anderen Gebäudekomplex (es waren zwei riesige Hauptgebäude) doch bitte suchen soll. Okay, also quälte ich mich in das andere Gebäude, wo ich ins Basement geschickt wurde und dort 45 Minuten, quasi mich von Toilette zu Toilette schleppend, jeden Menschen gefragt habe wo dieser Arzt ist.
Keiner konnten mir helfen, bis ich dann durch Zufall seine Tür sah und ein Wartezimmer in dem reges Treiben herrschte. Ein weiterer Prozess der Registrierung folgte sogleich (E-Mail, Name... Blabla copy & paste von oben) und 1100 Rupien ärmer durfte ich dann im Wartezimmer warten, einen auf amerikanisch gemachter Bollywoodfilm (der eine wird von ner Bazooka abgeballert und lebt noch lange genug um sich von seiner Frau zu verabschieden) gucken und beten endlich dran zu kommen, weil ich kurz vorm konsequenten Zusammenbruch war. Dann endlich betrat ich Dr. Sonis Office, der mich sehr herzlich empfing und mich nach einem kurzen Check sofort in den Emergency Bereich einwiesen lies. "Endlich", dachte ich mir und war froh, dass es voranging und hoffte, bald endlich etwas gegen die Schmerzen und den Durchfall zu bekommen.

Im Emergency Bereich wurde ich auf die nächste Liege mitten im Raum verwiesen, auf der ich sofort erstmal eingeschlafen bin. Ich wurde wach, als mal wieder ein Verletzter (offener Bruch - kein schöner Anblick sag ich euch) durch die Tür auf einer Trage reingetragen wurde. Hier lag wirklich absoluter Stress in der Luft und die Ärzte taten alles, was sie konnten. Mir war in der Zwischenzeit bereits Blut abgenommen worden und ich habe "Stuhl" (das heißt hier wirklich so) abgeben und das haben sie gecheckt. Ansonsten fieberte ich so vor mich hin und musste mich über den Wärter in Uniform, mit Mütze, ähnlich wie ein Polizist angezogen, köstlich amüsieren. Er bekam immer die Liste in die Hand gedrückt, auf der alle Patienten namentlich aufgelistet waren und las sie höchstkenzentriert durch. Alle 5 Minuten. Die gleiche Liste. Und machte mal hier ein Kreuz und da und hielt allen Menschen, die durch die Tür wollten die Tür auf. Wenn einer rein wollte fragte er nach dem Namen, sah 2 Sekunden auf die Liste und ließ ihn rein. Komisch, dass jeder der an diesem Tag durch die Tür wollte auf der ersten Seite der Liste stand, aber gut. Die haben hier übrigens auch Wärter und "VIP" Absperrungen für die Fahrstühle, fand ich eventuell auch noch ganz erwähnenswert.
Ansonsten hatte sich mein Zustand nicht allzu doll verbessert. Ich war müde, gefühlt kurz vorm Exitus und wusste nicht, ob ich den Abend nun hier bleiben würde, oder in der Nacht noch nach Hause geschickt werde. Ich hatte keinen Plan und niemand konnte mir da so wirklich weiterhelfen.
Erst die (wirklich) gut aussehende Schwester motivierte mich etwas, als sie mir Blut abnahm und mich an den Tropf anschloss. Letzten Endes wurde ich dann 10m Weiter verlegt und bekam meine eigenen 5 Quadratmeter, umgeben von Vorhängen. Hab mich gefühlt wie in der Serie "Scrubs". Dort verbrachte ich dann vollkommen erschöpft, vollgepumpt mit gefühlt 20 unterschiedlichen Pillen und Medikamenten, meine erste Nacht im "Max".

Von da ab an wurde aber alles besser. Also mein Zustand zunächst zwar nicht, aber ich wusste immerhin, dass ich hier gut aufgehoben war und von nun 2(!) gut aussehenden Schwestern verarztet wurde. Vor allem kam ich so ins Gespräch mit Dave, meinem "Bettnachbarn", direkt hinterm Vorhang. Er war gerade an Denguefieber erkrankt, wie 985 andere mit ihm, die sich in diesem Krankenhaus aufhielten (bei 1000 freien Betten ist das also eine ordentliche Quote). Wir haben uns viel unterhalten, über das indische und deutsche Gesundheitssystem, über das Essen, geheime Plätze die man in Indien unbedingt bereisen sollte und über Apple. Er arbeitet nämlich in einer Firma die alle (!) Softwareprobleme von Apple Produkten lösen. Also wenn euer Iphone Softwareprobleme habt und ihr das einschickt, landet das auf jeden Fall in Daves Abteilung. Er half mir auch beim Übersetzen, falls die entzückenden Schwestern mich mal wieder nicht ganz verstanden hatten, was ich gesagt habe. Ein super Typ also und ich fühlte mich gleich wohl in der "Gemeinschaft der Kranken". Alle haben besorgt gefragt was ich denn hätte und ob sie etwas für mich tun könnten, obwohl sie teilweise selber krank waren. Es war angenehm mal nicht nur schief angeguckt zu werden sondern irgendwie "dazu" zu gehören, wir bildeten eine Art Fußvolk, dass sich gemeinsam den Ärzten "unterordneten".
Spannend war auch, was ich alles zwischen den paar Vorhängen alles ergreifendes miterleben konnte. Ein Sohn, der sich beispielsweise um seinen todkranken Vater kümmert, ihm die Stirn abtrocknet, die ganze Nacht bei ihm sitzt und wartet, dass er mal wieder zwischendurch aufwacht um seinem Sohn seine Wünsche zu äußern, die der Sohn selbstverständlich widerstandslos befolge. Als der Vater es nicht mehr geschafft hätte auf die Toilette zu gehen, rannte er los, besorgte ihm einen Mülleimer, hob ihm hoch und half ihm bei seinem... Geschäft.
Man sah aber auch eine Mutter, die für ihre Tochter (17, Denguefieber, aber schrie wie am Spieß, weil sie keine Spritze wollte) herumtelefonierte und es nicht einsah dass alle Betten belegt waren. Der Arzt, der die Tochter bat etwas leiser zu sein, wurde von ihr sofort verbannt und durfte ihrer Tochter nicht mehr zu nahe kommen. So etwas gab es eben auch zu sehen.
Aber alles war sehr spannend und aufregend. Nach drei Tagen war ich dann auch wieder relativ gesund und freute mich, trotz der aufregenden, sehr interessanten aber auch schweren Zeit wieder gesund zu Hause einkehren zu dürfen.
Ich verließ das Krankenhaus aber mit einem breiten Grinsen und fühlte mich auf einmal ganz anders. Richtig, an dem Ort an dem ich bin. Ich brauchte einige Zeit, um zu realisieren, dass ich nun für ein Jahr hier in Neu Delhi leben werde - und dieser Krankenhausbesuch hat maßlos dazu beigetragen und wenn ich dafür erst hatte krank werden müssen, dann war es das auch absolut wert.

Soweit von meiner Seite, ich bin schon gespannt was ich nächste Woche zu erzählen haben werde. Auf jeden Fall bin ich absolut froh hier zu sein!


Tata,


Euer Jonas.

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